Gemeinwohl und Soziale Sicherheit

3. April 2020

Leitlinien für unsere künftige politische Arbeit im Angesicht der Corona-Pandemie

beschlossen am 3. April 2020, Down­load als PDF

Seit fast drei Wochen befindet sich unser Land im Kri­sen­modus. Kitas und Schulen sind geschlossen, Gas­tro­nomie und Tou­rismus stehen still, das Gesund­heits­system arbeitet auf Hoch­touren. Wir in der Politik sind genau wie die Ver­wal­tung, wie viele öffent­liche Ein­rich­tungen, pri­vate Betriebe und wie alle Fami­lien damit beschäf­tigt, das all­täg­liche Leben in dieser völlig neuen Situa­tion zu meis­tern. Unzäh­lige Fragen werfen sich gerade auf. Große Fragen nach der Leis­tungs­fä­hig­keit der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung oder der Exis­tenz­si­che­rung von Beschäf­tigten und Selb­stän­digen genauso wie viel­fäl­tige All­tags­pro­bleme.

Schritt für Schritt

All diese Fragen werden gerade beant­wortet, viele Pro­bleme gelöst. Schritt für Schritt. Bilder von leeren Plätzen und geschlos­senen Orten lassen uns manchmal glauben, die Welt stünde still. Doch das Gegen­teil stimmt: Hinter den Fas­saden der Häuser, auf unseren Straßen und in den Daten­netzen dieser Welt ist abso­lute Betrieb­sam­keit. All denen, die jetzt Kranke pflegen, Müll abfahren oder das Strom­netz am Laufen halten, all denen, die Felder bestellen, Hilfs­pro­gramme stri­cken oder Kinder betreuen, und auch all denen, die jetzt zuhause arbeiten und lernen oder für die Nach­barn ein­kaufen gehen – all denen kann man gar nicht oft genug danken. Und klar ist: Beim Dank allein darf es nicht bleiben.

Wir unterstützen die unmittelbare Bewältigung

Der­zeit trifft die Staats­re­gie­rung täg­lich viele wich­tige Maß­nahmen, um die unmit­tel­baren Folgen der Corona-Krise abzu­mil­dern, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung zu garan­tieren, um die Exis­tenz von Beschäf­tigten, Selb­stän­digen und von Unter­nehmen zu sichern, Kin­der­be­treuung und Bil­dung zu gewähr­leisten und Ver­sor­gungs- und Logis­tik­netze auf­recht­zu­er­halten. Wir Abge­ord­neten begleiten und unter­stützen die Ent­schei­dungen der Exe­ku­tive. Im engen Aus­tausch mit den Bür­ge­rinnen und Bür­gern auf der einen und den Minis­te­rien und Kri­sen­stäben auf der anderen Seite tragen wir mit dafür Sorge, dass Pro­bleme früh­zeitig erkannt und Ent­schei­dungen mit Augenmaß getroffen und prä­zi­siert werden.

Die parlamentarische Arbeit wird aufrechterhalten

Dar­über hinaus ist das Par­la­ment in beson­derer Ver­ant­wor­tung, jetzt die Rah­men­be­din­gungen für gute Ent­schei­dungen zu sichern. Zu diesem Zweck arbeiten die par­la­men­ta­ri­schen Struk­turen in ange­passter Form weiter, Gesetz­ge­bungs­ver­fahren laufen, kurz- und lang­fris­tige finanz­wirk­same Beschlüsse werden getroffen. So gewähr­leisten wir, dass für alle not­wen­digen Ent­schei­dungen sichere Rechts­grund­lagen und ver­läss­liche Finanz­mittel bestehen.

Grundrechtseinschränkungen regelmäßig überprüfen

Die not­wen­digen Ein­schrän­kungen treffen uns alle, gerade auch im Bereich der per­sön­li­chen Frei­heit. Und je länger die Maß­nahmen andauern, desto mehr stellt sich die Frage, ob das wirk­lich alles nötig ist. Wir als Abge­ord­nete haben dies im Blick. Die Ange­mes­sen­heit der Maß­nahmen gehört regel­mäßig über­prüft, durch die Exe­ku­tive, die Legis­la­tive und die Judi­ka­tive. Unsere Gerichte arbeiten auch unter diesen schwie­rigen Bedin­gungen, denn der Rechts­staat lässt nie­manden im Stich.

Die Krise meistern

Ohne Frage: Die Corona-Krise ist in ihrer Sub­stanz und in ihrem Ausmaß ein­malig. Wir können sie nicht voll­ständig beherr­schen. Aber: Unsere Demo­kratie, unsere staat­liche Ord­nung und die öko­no­mi­sche Kraft der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land sind ins­ge­samt stark genug, diese Krise zu meis­tern. Das zeigen die schnellen Reak­tionen auf allen Ebenen: Die sta­bile Gewähr­leis­tung von Kin­der­be­treuung, von medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung und sozialer Absi­che­rung, die Errich­tung von Hilfs­pro­grammen für Unter­nehmen und Selb­stän­dige, die Siche­rung aller lebens­wich­tigen und tech­ni­schen Infra­struk­turen und die zügige Mobi­li­sie­rung von Finanz­mit­teln in enormer Höhe für all diese Auf­gaben und die Abfe­de­rung wirt­schaft­li­cher Folgen. Das liegt auch daran, dass wir ein­ge­bunden sind in der Euro­päi­sche Union. Dieses Ein­ge­bunden-Sein ver­pflichtet uns zur Soli­da­rität; zugleich ist es ein ent­schei­dendes Ele­ment unserer Stärke.

Wann wird es wieder so wie früher sein?

Die Corona-Krise ist für uns alle eine Zäsur. Kaum etwas im all­täg­li­chen Leben läuft noch so wie vorher. Die Unsi­cher­heit dar­über, welche Ent­wick­lung diese ganze Situa­tion nimmt, ist nicht leicht zu ertragen. Und viele Men­schen beginnen sich zu fragen: Wann wird wieder Nor­ma­lität ein­kehren? Wann wird es denn wieder so wie früher sein?

Eine Chance für Veränderung

Wir sollten den Tat­sa­chen ins Auge bli­cken: Es wird nicht wieder so wie früher. Was in den nächsten Wochen und Monaten sein wird, kann nie­mand seriös vor­aus­sagen. Doch eines ist sicher: Die Welt von morgen wird eine andere sein. Mehr noch: Sie muss eine andere sein! Die Corona-Krise stellt uns die Sinn­frage, in ganz vielen Berei­chen. Und wir dürfen die ein­ma­lige Chance nicht ver­strei­chen lassen, neue Ant­worten zu geben. Neben all den kurz­fristig not­wen­digen poli­ti­schen Ent­schei­dungen, die es zu treffen gilt, neben allen Geset­zes­än­de­rungen und Sofort­hil­fe­pro­grammen gibt es eine zweite, eine lang­fris­tige poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung: Wir müssen aus dieser Krise lernen.

Eine gute Balance finden

Die Corona-Krise führt uns die Kehr­seite vieler Ent­wick­lungen dras­tisch vor Augen: Rigide Wirt­schaft­lich­keit im Gesund­heits­system ver­ur­sacht im Ernst­fall feh­lende Reser­ve­ka­pa­zi­täten auf dem Rücken über­ar­bei­teter und zum Teil schlecht bezahlter Beschäf­tigter. Glo­ba­li­sierte Waren­ströme ver­ur­sa­chen im Ernst­fall Ver­sor­gungs­eng­pässe durch unter­bro­chene Lie­fer­ketten. Welt­um­span­nender Tou­rismus ver­ur­sacht im Ernst­fall pan­de­mi­sche Infek­tionen. Zu kurz ist es jedoch gedacht, ein­fach die Ursa­chen besei­tigen zu wollen. Denn Wirt­schaft­lich­keit, Glo­ba­li­sie­rung und Tou­rismus sind weder ein­fach zu besei­tigen noch an sich schlecht. Viel­mehr geht es darum, sie so zu regu­lieren, dass nega­tive Folgen ver­mieden werden. Es gilt, eine gute Balance zu finden zwi­schen dem Glo­balen und dem Lokalen, zwi­schen den Märkten und staat­li­cher Regu­lie­rung, zwi­schen indi­vi­du­eller Frei­heit und sozialem Gemein­sinn. Es ist kein Zufall, dass die Krisen unserer modernen Zeit – die Finanz­krise, die Kli­ma­krise, die Migra­ti­ons­krise und die Corona-Krise – die­selben For­de­rungen offen­legen: Wir brau­chen eine Wirt­schafts­ord­nung jen­seits des unbe­grenzten Wachs­tums, eine Finanz­ord­nung jen­seits der Gewinn­ma­xi­mie­rung, eine Gesell­schafts­ord­nung jen­seits des Radi­kal­in­di­vi­dua­lismus. Mit jeder dieser Krisen wird deut­li­cher: Wir müssen die Schritte vom Heute in das Morgen schneller schaffen.

Mitverantwortung: Die eigene Aufgabe annehmen

Welt­weite Krisen, neue Ord­nungen – das sind große Her­aus­for­de­rungen. Hier eine füh­rende Rolle der Lan­des­po­litik zu suchen, wäre Ver­mes­sen­heit und Über­for­de­rung zugleich. Und doch trägt auch der Frei­staat Sachsen, tragen wir in der Lan­des­po­litik eine Mit­ver­ant­wor­tung. Für viele Aspekte des täg­li­chen Lebens gestalten wir die Rah­men­be­din­gungen. Folgen wir hier weiter dem ‚busi­ness as usual‘, dann bleiben die Her­aus­for­de­rungen unbe­wäl­tigt. Wir Poli­ti­ke­rinnen und Poli­tiker haben die Pflicht, im Ange­sicht welt­weiter Krisen auf unserer jewei­ligen Ebene – Europa, Bund, Land, Kom­mune – die eigenen Auf­gaben zu finden und anzu­nehmen, den Bei­trag zu leisten, der auf unserer Ebene geleistet werden kann, kurz: Mit­ver­ant­wor­tung zu über­nehmen.

Die Zukunft entsteht durch unsere Handlungen

Jen­seits der kurz­fris­tigen Bewäl­ti­gung der Corona-Krise werden wir in den kom­menden Monaten die im Koali­ti­ons­ver­trag fest­ge­hal­tenen lan­des­po­li­ti­schen Vor­haben auf ihre Aktua­lität über­prüfen und auf gemein­same neue Ver­stän­di­gungen für die Zukunft nach Corona drängen. Unsere Leit­li­nien sind dabei:

  • Wir wollen den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt stärken und der Soli­da­rität eine neue Bedeu­tung in Sachsen geben.
  • Wir wollen die Daseins­vor­sorge und das Gemein­wohl stärken.
  • Wir wollen die soziale Sicher­heit für die Men­schen erhöhen und soziale Ungleich­heit abbauen.
  • Wir wollen die Arbeit zum öffent­li­chen Wohl in- und außer­halb des öffent­li­chen Dienstes auf­werten.
  • Wir wollen die Ein­rich­tungen des Gesund­heits­sys­tems, der Betreuung von Kin­dern, älteren Men­schen und Hil­fe­be­dürf­tigen stärken.
  • Wir wollen die Ein­rich­tungen für Bil­dung, Wis­sen­schaft und For­schung und ihre Koope­ra­ti­ons­netz­werke stärken.
  • Wir wollen lokale und regio­nale Struk­turen in der Wirt­schaft, der Land­wirt­schaft, der Ver­sor­gung und der Selbst­ver­wal­tung stärken.

Wir alle sind Lernende

Politik und Behörden, Kran­ken­häuser und Schulen, Unter­nehmen und Selb­stän­dige, Allein­ste­hende und Fami­lien, Kinder und Erwach­sene: Alle in diesem Land, alle sind vor unbe­schreib­liche Auf­gaben gestellt. Wir alle müssen diese Krise annehmen. Wir müssen ihre unab­än­der­li­chen Folgen akzep­tieren. Und wir müssen gleich­zeitig unsere Mög­lich­keiten zum Han­deln nutzen, um das Beein­fluss­bare in dieser Krise gut zu gestalten. Das ver­langt Ein­sicht und Mut, Soli­da­rität und Mit­ver­ant­wor­tung, Prag­ma­tismus und Nach­sicht, Zusam­men­halt, gegen­sei­tige Unter­stüt­zung und nicht zuletzt Ver­trauen – in die anderen genauso wie in uns selbst. Wir alle sind Ler­nende. Lernen wir gemeinsam.