Rede von Henning Homann zur Regierungserklärung

23.03.2022

Am 23. März hat der Ministerpräsident im Sächsischen Landtag eine Regierungserklärung zum Krieg Putins gegen die Ukraine gehalten. Für die SPD-Fraktion hat der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Henning Homann in der Aussprache das Wort ergriffen.

Henning homann

Wir werden nicht zulassen, dass der Frieden in Europa gegen den sozialen Frieden im Inneren ausgespielt wird.

Es geht um Sicherung von Demokratie und Freiheit in Europa, aber eben auch um Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes und soziale Gerechtigkeit. Wir denken innere, äußere und soziale Sicherheit zusammen.

Deshalb werden wir als SPD unsere Pläne für den Wohnungsbau, die Stärkung des Sozialstaats, Investitionen in eine klimagerechte Verkehrswende, eine klimaneutrale Wirtschaft und sichere Arbeitsplätze entschieden fortsetzen.

Die Rede im Wortlaut:

In Europa herrscht Krieg.

In Europa herrscht Krieg. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Präsident Putin nicht nur Völkerrecht gebrochen. Der Angriff Putins markiert auch einen Bruch mit der Europäischen Friedensordnung und unseren demokratischen Werten.

Er bedient sich dabei einer verabscheuungswürdigen Propagandalüge von einer angeblichen Entnazifizierung. Wohlgemerkt: Die Ukraine wird von einem Präsidenten mit jüdischen Wurzeln geführt, dessen Familie im 2. Weltkrieg nahezu ausgelöscht wurde.

Dabei ist wichtig zu unterscheiden. Nein, das ist nicht der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Das ist Putins Krieg und er ist durch nichts zu rechtfertigen

Bundeskanzler Olaf Scholz hat Recht: dieser Krieg ist eine Zeitenwende. Er wird sich nachhaltig auf die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik auswirken, aber auch auf unser Leben in Deutschland und Sachsen.

 

Friedenspolitik und robuste Sicherheit sind kein Widerspruch

Wurde Putin von vielen politischen Verantwortungsträgern, Journalisten und Beobachtern falsch eingeschätzt?

Ja.

War deshalb die deutsche Friedenspolitik der letzten Jahrzehnte falsch?

Nein, im Gegenteil.

Eine auf Diplomatie und Krisenprävention basierende Friedenspolitik ist und wird auch weiter das Leitbild deutscher und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik bleiben. Diese Prinzipien lassen sich aber nicht voraussetzungslos verwirklichen, sondern brauchen eine klare Haltung, Einigkeit mit unseren Partnern, Nachdruck und Durchsetzungsstärke.

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte weitere Stärkung der Bundeswehr orientiert sich am Rahmen dieses Leitbildes. Um eine aufgabengerechte Ausrüstung der Bundeswehr als Bündnisarmee und Armee zur Landesverteidigung zu erreichen, wird Deutschland in den nächsten Jahren seinen Verteidigungshaushalt deutlich anheben.

Eine auf Diplomatie und Krisenprävention basierende Friedenspolitik und ein entschlossenes Agieren Deutschlands im Rahmen der Europäischen Union und der NATO sind kein Widerspruch. Nur zur Erinnerung: Auch die Entspannungspolitik von Willy Brandt beruhte neben Diplomatie und Ausgleich auf einem Konzept der Westbindung der Bundesrepublik sowie einer starken, auch robusten militärischen Bündnispolitik.

Auf dieser Basis unterstützen wir die Bemühungen Europas, insbesondere von Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Präsidenten Emanuel Macron den russischen Diktator Putin mit gemeinsamen Sanktionen und gleichzeitigen diplomatischen Initiativen zur Beendigung des Krieges, zumindest aber zu einem Waffenstillstand zu bewegen.

 

Ausweitung des Krieges auf weitere Staaten verhindern

Anrede,

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Recht, wenn Sie, konfrontiert mit der ukrainischen Forderung nach einer Flugverbotszone, von einer Wahl zwischen Pest und Cholera spricht. Ein Nichteingreifen der demokratischen Staaten hat katastrophale Folgen für die Menschen vor Ort. Aber: Ein Eingreifen des Westens würde bedeuten, dass russische Soldaten auf Nato-Soldaten treffen. Dann riskieren wir einen dritten Weltkrieg. Dieser würde die Situation auch für die Menschen in der Ukraine weiter dramatisch verschlimmern.

Die Antwort der Nato ist deshalb so schwierig wie richtig. Der Artikel 5 des Nato-Vertrags gilt. Aber die Nato-Staaten werden zu keinem Zeitpunkt mit eigenen Soldaten in diesen Krieg eingreifen. Wir werden ein Übergreifen des Krieges auf weitere Staaten verhindern.

Und trotzdem: Wir stehen an der Seite der Menschen in der Ukraine. Es ist richtig, dass Deutschland und Europa alle Möglichkeiten nutzen, um die Ukraine zu unterstützen. Dazu gehört ein hartes Sanktionsregime gegenüber Russland und auch Waffenlieferungen an die Ukraine.

Ich begrüße, dass die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern diesen Weg fortsetzen will. Das gilt für scharfe Sanktionen genauso, wie die weitere Lieferung defensiver Waffensysteme an die Ukraine. Die Europäische Union wird in enger Abstimmung mit der Bundesregierung noch in dieser Woche weitere 500 Millionen freigeben, um die Ukraine weiter militärisch zu unterstützen.

 

Solidarität mit Geflüchteten

Lassen Sie uns aussprechen, wie es ist und nicht hinter Euphemismen verstecken: In der Ukraine sterben Menschen. Es sterben Zivilisten. Männer, Frauen, junge, alte, Mütter, Väter – unschuldige Menschen. Es sterben ukrainische Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Heimat kämpfen. Es sterben aber auch russische Soldatinnen und Soldaten, die für die Pläne Putins missbraucht werden.

Das menschliche Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung und die Fluchtbewegung in die Nachbarstaaten und auch nach Mitteleuropa begreifen wir als unseren moralischen und politischen Auftrag.

Wir werden als Europa, Deutschland und Sachsen zu unserer Verantwortung stehen und sind sicherer Hafen.

Im Namen der SPD-Fraktion danke ich allen Hilfsorganisationen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den öffentlichen Verwaltungen, die mit der Flüchtlingshilfe befasst sind und vor allem allen privaten Initiativen in der Geflüchtetenhilfe. Die Sachsen zeigen ihr Gesicht der Solidarität. Das ist ein wichtiges Signal.

Wir müssen als Freistaat diese überwältigende Hilfsbereitschaft der Sachsen unterstützen und befördern. Aktuell wird die Hauptlast der Hilfe von den Kommunen und den vielen Ehrenamtlichen geschultert.

Derzeit liegt diese vor allem in den kreisfreien Städten. Wir müssen aber auch die Kapazitäten der Landkreise nutzen. Die Kommunen müssen dabei unterstützt werden, mittelfristig geeignete Unterbringungen aufzubauen.

Sowohl der Bund als auch das Land sind hier in der Verantwortung diese bestmöglich zu unterstützen. Mit den entsprechenden Ressourcen, aber eben auch durch eine entschlossene und gute Koordinierung. Die Zuweisung und Verteilung der Menschen muss zentral geregelt werden. Die Fähigkeiten des Freistaats sind da, diese müssen wir nutzen. Dabei werden wir den Innenminister unterstützen.

Lassen Sie uns alle die Herausforderung und sicher auch Problemen nicht als Belastung begreifen. Wir sollten uns in Demut üben. Das was die Menschen aus der Ukraine gerade verlieren ist so unermesslich groß, dass unser Beitrag egal wie groß er am Ende ist, dagegen gering erscheinen wird. Lassen sie uns diesen Menschen mit offenen Armen und Respekt begegnen.

 

Kein Ausspielen von innerem und äußerem Frieden

Anrede,

Die Einrichtung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ist richtig, denn es stellt sicher, dass neben den richtigen Mehrausgaben für die Bundeswehr auch die wichtigen progressiven Reformprojekte der SPD in der Bundesregierung weiter umgesetzt werden können.

Wir werden nicht zulassen, dass der Frieden in Europa gegen den sozialen Frieden im Inneren ausgespielt wird. Es geht um Sicherung von Demokratie und Freiheit in Europa, aber eben auch um Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes und soziale Gerechtigkeit. Wir denken innere, äußere und soziale Sicherheit zusammen. Deshalb werden wir als SPD unsere Pläne für den Wohnungsbau, die Stärkung des Sozialstaats, Investitionen in eine klimagerechte Verkehrswende, eine klimaneutrale Wirtschaft und sichere Arbeitsplätze entschieden fortsetzen.

 

Zeitenwende in der Energiepolitik

Putins Krieg in der Ukraine verstärkt die Notwendigkeit für entschiedenes Handeln in der deutschen Energiepolitik. Wir standen schon vor Putins Angriff auf die Ukraine vor dem größten Modernisierungsprozess unserer Industrie seit 1990, wenn wir bis 2045 klimaneutral werden wollen.

Und es ist schon lange Position der SPD, dass wir für den Übergang zur Klimaneutralität Gas und Gaskraftwerke in Sachsen brauchen. Wichtig ist es aber nun, dass wir für diesen Übergang die Gasversorgung divers aufstellen. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass nicht einzelne Staaten ihre Rohstoffe als Waffe einsetzen.

Aus der neuen Situation resultieren drei Prioritäten:

  1. Die Energieversorgung sowohl der Privathaushalte als auch der Wirtschaft muss gewährleistet bleiben.
  2. Mehr Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und eine Diversifizierung der Importquellen bei Gas, Kohle und Öl. Damit beenden wir die Abhängigkeit von Russland.
  3. Einen gerechten sozialen Ausgleich, der insbesondere kleine und mittlere Einkommen entlastet.

Deshalb: Unabhängig davon in welchem Jahr genau Deutschland aus der Braunkohle aussteigt. Die Zeitenwende zeigt noch deutlicher als schon bisher: Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren Energien, von Speichertechnologien und der Wasserstoffwirtschaft beschleunigen.

 

Ökonomische Konsequenzen

Es wäre nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch ökonomisch unklug abzuwarten. Im Gegenteil, wir müssen vorangehen. Wer das nicht versteht, wird zunehmend zur Bedrohung des Wirtschaftsstandorts Sachsen.

Die Wirtschaft macht es uns vor, wo manche immer noch bremsen: In der Lausitz entstehen durch die MIBRAG im ehemaligen Braunkohletagebau in der Lausitz Solaranlagen und Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 300 Megawatt. Ein weiterer Ausbau in Sachsen wäre möglich. Es würde uns in Sachsen kein Geld kosten. Unternehmen sind bereit hier zu investieren und Steuern zu bezahlen. Wir müssen nur entsprechende Flächen zur Verfügung stellen.

Erneuerbare Energien sind, da hat Bundesfinanzminister Christian Lindner recht, Freiheitsenergien. Sie sind ökonomisch betrachtet, aber auch Zukunftsenergien. Nur so sichern wir Arbeitsplätze in der Energiebranche und für unseren Industriestandort und machen uns gleichzeitig unabhängig von russischen Importen.

Das Klimaschutzprogramm der Landesregierung kann deshalb nur ein erster Schritt sein. Wir brauchen weitere Maßnahmen. Zeitenwende bedeutet für Sachsen, dass wir endlich mehr investieren müssen, z.B. über ein von der SPD vorgeschlagenes Sondervermögen, den Sachsenfonds 2050.

 

Abschluss

Anrede,

1991 war ich in der 6. Klasse auf meiner ersten Klassenfahrt. Im Aufenthaltsraum lief der Fernseher. Eigentlich belanglos. Es folgten die Nachrichten. Niemand schaute wirklich hin. Bis mein Klassenkamerad Daniel mit Blick auf den Fernseher verstummte. Daniel war Kroate, ein Großteil seiner Familie lebte noch immer dort. Soeben meldete das Fernsehen den Angriff der jugoslawischen Volksarmee auf Kroatien. Ich habe die Tränen der Angst in den Augen meines Freundes nie vergessen, genauso wie es diese Klassenfahrt für Daniel, für uns alle verändert hat.

Damals habe ich gelernt. Der Wunsch nach Frieden ist weder etwas abstraktes und noch etwas naives. Aus der Vogelperspektive betrachtet, offenbart die Menschheit gerade wieder ihre enormen destruktiven Potenziale. Aber das macht uns nicht aus. Wir können es besser. In den nächsten Tagen, Wochen und Monaten, wird Wünschen alleine nicht helfen, sondern wir alle werden gefordert sein etwas zu tun, ja auch schwierige Entscheidungen zu treffen.

Oder wie Egon Bahr, der am 18. März 100 Jahre alt geworden wäre, formulierte:

„Im Frieden leben erfordert nicht große Worte, sondern viele kleine Schritte.“

Lassen sie uns diese gemeinsam gehen.

Vielen Dank