Rede von Dirk Panter zur Einbringung des Doppelhaushaltes

29.08.2022

55. Plenarsitzung des Sächsischen Landtages

– Es gilt das gesprochene Wort –

Anrede

Heute wird der Haushalt für die nächsten zwei Jahre eingebracht

In meinen Augen beginnt der Blick darauf mit einem Blick zurück

  • In den letzten acht Jahren auf eine Periode erfolgreicher Haushaltspolitik, die sich aus SPD-Sicht durch drei Merkmale auszeichnete. Sie war
    • Ehrlich: Haushaltsklarheit und -wahrheit haben wir gestärkt, seit 2014 ist Schluss mit verschleiern und frisieren (siehe transparente Stellenplanung Polizei/Lehrerbedarf/Personal allgemein – Bsp. Einführung Stellensoll D)
    • Solide: alle Vorhaben waren durchfinanziert, langfristig angelegt und im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit unseres Landes (z. B. Brücken in die Zukunft, Zukunftssicherungsfonds, Breitbandfonds, etc.)
    • Innovativ: neue Impulse gesetzt, z. B. nicht nur neue Lehrer:innenstellen, sondern auch Schulassistenz, nicht nur in Straßenbau investiert, sondern auch eine Erhaltungsstrategie aufgelegt, nicht nur Kita-Schlüssel verbessert, sondern auch Vor- und Nachbereitungszeit in den Blick genommen, nicht nur ÖPNV finanziert, sondern ein Plusbusnetz etabliert – und auch ein Bildungsticket
  • Ehrlich, Solide, Innovativ – das war sächsische Haushaltspolitik, das war unsere gemeinsame Haushaltspolitik der letzten acht Jahre
  • Heute hat uns die Staatsregierung einen Entwurf vorgestellt, der in seiner Gesamtheit diese Merkmale in unseren Augen noch nicht erfüllt
  • Wohlgemerkt in seiner Gesamtheit. Denn ich erkenne natürlich an, dass dieser Entwurf viele gute Seiten hat:
    • Gut ist, dass trotz der schwierigen Umstände, wichtige Grundlinien beibehalten werden – dazu zählen wir die Schwerpunkte Soziales und Jugend, Gesundheit und medizinische Versorgung: Hier hält der Entwurf Kurs.
      • Die Schulsozialarbeit ist gesichert.
      • Die Kinder- und Jugendhilfe wird gestärkt.
      • Die Familienförderung hat ein stabiles Fundament.
    • Gut ist auch, dass unsere gemeinsamen Weichenstellungen für eine erfolgreiche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik Bestand haben;
      • Sachsen kann sich an den wichtigen IPCEI-Projekten für zukunftsträchtige Wirtschaftszweige beteiligen.
      • Die Finanzierung der Grauen Flecken ist gesichert
      • Es gibt einen neuen Fokus auf internationale Arbeitskräfte, die wir in Sachsen dringend brauchen.
    • Diese guten Aspekte halten wir nicht nur beim Blick auf die beiden Ressorts Soziales und Wirtschaft von Petra Köpping und Martin Dulig fest. Wir können sie auch in den anderen Einzelplänen wiederfinden.
    • Das freut uns – denn tatsächlich kann diese Koalition sagen: Hier haben wir gemeinsam erfolgreiche Wege beschritten, die sich bewähren und von Dauer sind.
    • Dennoch: Ehrlich, solide und innovativ ist der Entwurf in seiner Gesamtheit noch nicht. Ich will das an drei Beispielen deutlich machen:
      • Erstens – zum Thema innovativ: wir stehen vor einer der größten Umwälzungen im Wirtschaftsleben dieses Landes – und das nicht nur wegen der aktuellen Energiekrise.

Trotzdem geht der Regierungsentwurf das Thema Zukunftsinvestitionen nicht beherzt genug an.

Noch immer merkt man, dass der sächsische Finanzminister sich lieber an die Pro-Kopf-Verschuldung klammert als die Zukunft zu gestalten; dass sie meinen, unsere Kinder hätten mehr von einer schwarzen Null als von einer guten Ausbildung.

Dabei bin ich zutiefst überzeugt, dass ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort wichtiger ist, als eine Haushaltspolitik, die nicht mal mehr schwäbische Hausfrauen besonders clever finden.

Innovation heißt also, solide Finanzpolitik mit klugen Investitionen zu kombinieren. Uns gehen Innovationschancen verloren, wenn wichtige Zukunftsinvestitionen nicht langfristig – also über den Doppelhaushalt hinaus – abgesichert werden können. Schon im Herbst 2020 hat sich die SPD für den SachsenFonds ausgesprochen, um Innovationen zu ermöglichen.

Und damit Sie das nicht immer nur von der SPD hören, zitiere ich gerne jemanden, der es offenbar auch weiß. Der Telekom-Chef Höttges hat vergangene Woche Alarm geschlagen und davor gewarnt, dass wir als Land unsere Spitzenposition verlieren. Ich zitiere:

„Wir müssen den Finger wieder in die Wunde legen und dem Anspruch gerecht werden, führend in dem zu sein, was wir tun. Dann ist Erfolg nicht zu verhindern. Innovation und Investition sind die Schlüssel.“

Darüber müssen wir sprechen. Wir als SPD sind dazu bereit!

Zweitens – zum Thema solide: Dass dieser Regierungsentwurf ohne Verfassungsänderung auszukommen scheint, ist aus SPD-Sicht Augenwischerei: Denn die Tilgungslast der Schuldenbremse ist schon in den nächsten zwei Jahren zu hoch – fast 700 Mio. EUR. Und es kommt noch dicker, im darauffolgenden Doppelhaushalt steigt die erforderliche Tilgung auf über 1,2 Milliarden EUR (2×615 Mio. EUR). Nichts von dem, was ich heute als positive Aspekte benennen konnte, ist dann vor dem Rotstift sicher.

Der notwendigen Debatte zur Änderung der Tilgungsfrist stellen sich aber nicht alle hier im hohen Haus, leider.

Stattdessen werden hier Steuererhöhungen vorgeschlagen deren Sinn sich mir nicht erschließt.

Und gleichzeitig verpulvern wir in Zeiten von Inflation auch noch unser gutes sächsisches Geld, indem über 2 Mrd. EUR cash in einen Beamtenpensionsfonds geschoben werden, der Negativrenditen erwirtschaftet.

Das ist kurzsichtig und hat mit solider, generationengerechter Finanzpolitik nichts zu tun.

Darüber müssen wir sprechen. Wir als SPD sind dazu bereit!

  • Und drittens – zum Thema ehrlich: Die SPD ist 2014 mit einem klaren Versprechen in eine Regierung eingetreten: Dieses Land muss sich ehrlich machen. Lehrerstellen sind nach dem objektiven Schülerbedarf zu planen und nicht nach subjektivem Gusto des Finanzministers. Dieses Versprechen haben wir seither gehalten.

Nun bekommen wir einen Entwurf, der in alte Zeiten zurückfällt: Im HH gibt es – trotz anderslautender Ankündigungen des Finanzministers – plötzlich sehr viele neue Stellen. Leider nicht immer dort, wo wir sie dringend brauchen!

Obwohl objektiv klar ist, dass mehr Lehrerstellen gebraucht werden, um den Unterricht abzusichern, sieht der Haushalt zu wenig Stellen vor. Das ist nicht ehrlich.

Darüber müssen wir sprechen. Wir als SPD sind dazu bereit!

  • Zusammenfassend kann ich sagen: Dieser Haushaltsentwurf hat gute Seiten.
    • Er hat die soziale und wirtschaftliche Stabilität unseres Landes im Blick.
    • Und er hält guten Kurs in so wichtigen Bereichen wie Gesundheit, Verkehr, Hochschule und Wissenschaft.
  • Doch in der Gesamtheit erkennen wir in diesem Entwurf auch einen Bruch mit der erfolgreichen Haushaltspolitik der letzten Jahre: Hier werden uns Vorschläge unterbreitet, die teilweise nicht ehrlich sind, nicht innovativ und auch nicht solide.
  • An Vorschlägen der SPD, wie wir das ändern können, mangelt es wahrlich nicht.

Heute aber nur über den Landeshaushalt zu sprechen, wird der Situation nicht gerecht. Keiner von uns kann die Augen vor den explodierenden Strom- und Energiepreisen verschließen, und dem was noch kommt.

Deshalb ist bei einer Haushaltsaufstellung in diesen Zeiten Risikovorsorge das Gebot der Stunde. Ich kann nicht nachvollziehen, dass uns dieser Regierungsentwurf nahezu gänzlich ohne Risikovorsorge erreicht. In der Vergangenheit waren viele von den Finanzministern beschriebene Risikoszenarien nichts anderes als die Fortsetzung von Grimms Märchen.

Aber jetzt, jetzt wo es darauf ankommt, ist von Risikovorsorge wenig zu erkennen. Andere Länder machen das – zu Recht. Auch darüber wird zu sprechen sein.

Anrede,

Eine Verfünf- oder Verzehnfachung der Strom- und Gaspreise führt zu Mehrkosten, die für die meisten unvorstellbar, und für viele auch unbezahlbar sind.

Ich habe hier ein Schreiben der Mitgas vor mir für ein sächsisches Rentnerehepaar. Beide knapp über 70, gemeinsames Monatsbrutto gut 2000,-. In Sachsen nichts Außergewöhnliches.

Ihr Gasabschlag lag bisher bei 123 EUR monatlich, zukünftig soll er bei 939 EUR liegen. Wie bitte soll das gehen?

Das sind auch keine Einzelfälle, wie der Bäcker aus dem Vogtland zeigt: erst der Abschlag privat von 300,- auf 1300,- EUR, dann noch die Backstube von 500,- auf 1600,- EUR. Dann kostet eben das 2-Pfund-Brot in Zukunft 7,- EUR – und das ist kein Witz.

Dass da die pure Angst umgeht, kann ich gut verstehen.

Und da wird auch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas nicht viel ändern.

In den nächsten Tagen erwarten wir das dritte Entlastungspaket. Hoffentlich eines mit zielgenauen Hilfen für die, die es wirklich nötig haben. Das, was ich aktuell als Diskussion in unserer SPD-Bundestagsfraktion wahrnehme, stimmt mich hoffnungsfroh.

Anrede,

Unsere Aufgabe als politische Akteure ist es, in diesen Zeiten Sicherheit zu geben und nicht Unsicherheit zu schüren – so wie es hier im Hohen Haus leider immer wieder passiert. Wer politische Verantwortung übernimmt, sollte nicht nur vermeintliche Stimmungen verstärken, sondern Forderungen auch mit Konzepten untermauern können.

Der Begriff „ideologiefrei“ ist ja gerade wieder Mode. Erstaunlich ist nur, dass gerade die, die am lautesten danach rufen, die sind, die am ideologischsten argumentieren.

In einer noch nie dagewesenen Situation sollten wir Diskussionen zulassen und Lösungen finden – das ist unser Job.

Klar ist doch: wir werden ALLE den Gürtel enger schnallen müssen. Und die, die das gar nicht können, denen muss geholfen werden!

Das tun wir als Sozialdemokraten und fordern es immer wieder ein.

Was es braucht, ist Solidarität. Wenn alle den Gürtel enger schnallen, dann müssen auch ALLE helfen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

  • Wenn ich daran denke, dass in dieser schwierigen Situation einige gerade einen Reibach machen, dann muss auch in Deutschland über eine Übergewinnsteuer gesprochen werden – oder über eine Übergewinn-Abgabe, wie sie Mecklenburg-Vorpommerns Finanzminister vorgeschlagen hat.
  • Wenn ich daran denke, dass während Corona fast alle Opfer gebracht haben, nur die großen Vermögen nicht, dann muss in Deutschland über eine Solidarabgabe gesprochen werden – das gab es vor vielen Jahren übrigens schon mal.
  • Wenn ich daran denke, was mit der Gasversorgung des erwähnten Rentnerehepaars oder des Bäckers werden soll, dann müssen wir in Deutschland anfangen zu härteren Maßnahmen zu greifen. Wenn der Markt völlig aus dem Ruder läuft und versagt, muss der Staat eingreifen. Ein Gas- oder Strompreisdeckel auf ein Grundkontingent je Person oder Haushalt wäre das Mindeste.
  • Aber auch ein von Krisengewinnern finanzierter Notfallfonds darf kein Tabu sein.

Klar ist: wir müssen Lösungen anbieten, um Sicherheit zu geben.

Und natürlich schaue ich auch auf uns in Sachsen! Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten. Wir können auch mit vermeintlich kleinen Dingen helfen, indem wir z. B. den Verbraucherschutz besser ausstatten. Oder in Zukunft auch private Akteure wie die Tafeln unterstützen. Sie werden in diesem Winter so stark in Anspruch genommen werden wie noch nie, leider.

Und falls Lücken beim Entlastungspaket des Bundes bestehen, müssen wir darüber sprechen, wie wir diese Lücken im Rahmen unserer Möglichkeiten schließen können.

Aber dafür braucht es Spielräume oder Vorsorge. Beides ist im RegE nicht ausreichend vorhanden.

Damit schließt sich der Kreis.

Geldvernichtung in einem Beamtenpensionsfonds muss jetzt genauso zur Debatte stehen, wie das Festhalten an einer Schuldenbremse, die sich im Krisenfall als untauglich erwiesen hat. Das wäre mal „unideologisch“ und „ohne Denkverbote“. Aber wir wissen ja, wie in der Debatte von manchen Seiten argumentiert wird.

Durch die falsche Finanzpolitik fehlt uns Geld, die kurzfristige Risikovorsorge und die langfristige Stabilität des Haushaltes wird damit gefährdet.

Dass es auch anders geht, ist jedem klar. Es ist eine Frage des Willens und der geistigen Beweglichkeit.

Oder wie Hannah Arendt es gesagt hat: „Denken ohne Geländer“.

Wer sich in seiner gedanklichen Nische vergräbt und sich deshalb pragmatischen Lösungen versperrt, der wird dieser beispiellosen Krise nicht gerecht.

Auch wir können nicht nur nach Berlin schauen und dort alles abladen.

Deshalb sage ich schon heute, dass wir nicht ausschließen können und nicht ausschließen dürfen, die Schuldenbremse aufgrund der Mega-Energiekrise nochmals auszusetzen. Schon gar nicht wenn keine anderen Instrumente auf den Tisch gelegt werden.

Denn das, was vor uns steht, wird eine der größten Herausforderungen, der sich dieser Freistaat und das ganze Land seit der Deutschen Einheit stellen musste. Die Probleme durch Corona wirken da auf einmal ganz klein.

Machen wir uns nichts vor: In dieser Situation darf niemand Mikado spielen.

Denn hier gewinnt nicht, wer sich nicht bewegt.

Hier gewinnt, wer am schnellsten agiert, wer ohne Geländer denkt und den Menschen Sicherheit gibt!

Wir als SPD sind dazu bereit.

Vielen Dank