Unwissenheit schützt vor Meinung nicht. 

 

Mein Name ist Armin, ich bin 15 Jahre alt und seit län­gerem an poli­ti­schen Pro­zessen inter­es­siert. Anstatt jedoch immer nur die Mel­dungen der Presse zu reflek­tieren, wollte ich mir nun einmal ein eigenes Bild machen. Im Rahmen meines Schul­prak­ti­kums hatte ich vom 22.05. bis zum 05.06. die Chance, einen Ein­blick in die Arbeit der SPD-Frak­tion im säch­si­schen Landtag zu erhalten. 

Schon früh war für mich klar, dass ich mein Prak­tikum im Landtag ver­bringen möchte. – Wo sonst hat man die Chance, die von den meisten wahr­ge­nom­mene, doch wenn über­haupt nur an der eigenen Mei­nung reflek­tierte, nicht aber in Ihrer Funk­ti­ons­weise ver­stan­dene Lan­des­po­litik ken­nen­zu­lernen? Wo sonst lernt man gleich­zeitig so viel über das Grund­ge­rüst unseres gesell­schaft­li­chen Zusam­men­le­bens, den Staat, die erste Gewalt und ihre Arbeit und kann sich gleich­zeitig ein so gutes Bild der hoch­in­ter­es­santen, aktu­ellen poli­ti­schen Lage bilden? Die Unzu­frie­den­heit vieler Bür­ge­rinnen und Bür­gern, die wir, gerade hier in Sachsen, tag­täg­lich spüren, ist in vielen Fällen einer Unwis­sen­heit über die Pro­zesse und Arbeit des Par­la­mentes geschuldet. Und dieser lieb gewon­nenen Unwis­sen­heit ent­sagen, das kann man am Besten am Ort des Gesche­hens, im Par­la­ment selbst. 

Der erste Eindruck zählt.

Mein erster Tag in der Frak­tion begann mit einer Ein­füh­rung in die ein­zelnen Bereiche und deren Auf­ga­ben­spek­trum. Schnell wurde mir klar, dass so viel mehr hinter den öffent­lich wahr­ge­nom­menen Abge­ord­neten steht, als oft ange­nommen wird. Um im Par­la­ment und im ste­tigen Gerangel um Mehr­heiten für die eigenen Pro­jekte und Wün­sche bestehen zu können, arbeitet im Hin­ter­grund ein großes Team von par­la­men­ta­ri­schen Bera­te­rinnen und Bera­tern, Pres­se­stel­len­mit­ar­bei­te­rinnen und Pres­se­stel­len­mit­ar­bei­tern sowie vielen anderen Spe­zia­listen eng zusammen.

Noch am selben Tag erfahre ich viel Inter­es­santes über die Geschichte und die Arbeit des Land­tages und bin von der Viel­falt und schieren Masse an Auf­gaben beein­druckt. Jeden Tag gehen etliche Druck­sa­chen, die Vor­lagen, mit denen die Par­la­men­ta­rier umgehen, ein. Von Geset­zes­ent­würfen über kleine und große Anfragen an die Staats­re­gie­rung, Anträge aller Art oder Beschluss­emp­feh­lungen reicht das Spek­trum der ins­ge­samt fast 14.000 Druck­sa­chen dieser Legis­la­tur­pe­riode bis hin zu Wahl­vor­schlägen, über die der Landtag abstimmen soll. 

Einen Über­blick über diese Doku­mente und die Arbeit des Ple­nums, der Voll­ver­samm­lung aller Abge­ord­neten, bietet bei­spiels­weise die Seite:

 

Demokratie funktioniert nur aktiv. 

Alle Sit­zungen, denen ich bei­wohnen durfte, schweben bereits unter dem Vor­zei­chen der bevor­ste­henden Ple­nar­woche. Immer wieder tauchten in diesem Zusam­men­hang aktu­elle Gesetz­ge­bungs­ver­fahren auf, an denen die SPD maß­geb­lich betei­ligt ist. Oft fielen die Stich­worte auf das neue Hoch­schul­ge­setz und die Ände­rung des Kita-Gesetzes, die beschlossen werden sollten. Um den Pro­zess der Gesetz­ge­bung, die Arbeit der Legis­la­tive besser zu ver­stehen und den nicht selten mehr als ein­hun­dert Seiten umfas­senden Geset­zes­ent­würfen zukünftig mehr als nur ein müdes Lächeln abge­winnen zu können, ent­schloss ich mich, den beiden zen­tralen Ent­würfen selbst nach­zu­gehen. Stets und ständig werden wir in den Medien mit Gesetzen und deren Ände­rungen kon­fron­tiert, doch um genau zu wissen, was dahinter steht und die Rege­lungen zumin­dest annä­hernd nach­voll­ziehen zu können, schafft weder die über­schrif­ten­las­tige Bou­le­vard­presse noch der Infot­weet der Tages­schau Abhilfe. 

Wie aber ent­lockt man den Geset­zes­texten ihre Geheim­nisse? Ich ent­schied mich dafür, zuerst einen Blick auf die Art und das Ziel des Ent­wurfs zu werfen. Wird ein völlig neues Gesetz ein­ge­führt oder ein bestehendes geän­dert? Auf welche Vor­schriften nimmt man damit Bezug? Beson­ders hilf­reich war hierzu das Rechts­portal des Frei­staates. Wichtig ist es aber auch, den Aufbau des Ent­wurfs an sich zu beachten. Wie ich fest­stellte, folgen diese immer einem glei­chen Schema und den glei­chen Vor­schriften der Rechts­förm­lich­keit: Zuerst beschreibt ein Vor­blatt Hin­ter­gründe, Not­wen­dig­keit und Ziel­set­zung sowie die Kosten, die durch das Gesetz ent­stünden, wenn es ange­nommen wird. Dann folgt der eigent­liche Ent­wurf, unter­glie­dert in Artikel, Para­gra­phen, Absätze, Num­mern usw. Dabei kann ein Gesetz mit ver­schie­denen Arti­keln ganz unter­schied­liche Ände­rungen vor­nehmen oder sogar als Man­tel­ge­setz für meh­rere Vor­haben fun­gieren. Der letzte Artikel regelt dabei immer das Inkraft­treten der neuen sowie ein mög­li­ches Außer­kraft­treten alter Rege­lungen. Um jedoch die getrof­fenen Ände­rungen besser zu ver­stehen, lohnt sich ein Blick auf den nun fol­genden Teil: Die all­ge­meine und kon­kret die beson­dere Begrün­dung. Hier wird jede Neu­fas­sung ein­zeln beschrieben und erläu­tert. Wer sich mit dieser Auf­stel­lung befasst, erkennt bald, dass es auch viele redak­tio­nelle oder Fol­ge­än­de­rungen gibt, die sich aus anderen Para­gra­phen ergeben und umge­setzt werden müssen. Mit dem Vor­wissen, welche Rege­lung wo und zu wel­chem Zweck umge­setzt wird, habe ich mich nun an den Haupt­text gewagt und mir hier die spe­zi­fi­sche For­mu­lie­rung der Rege­lungen erschlossen. Damit ist jedoch noch lange nicht geklärt, wie der Ent­wurf wirk­lich im Landtag abge­stimmt wird, denn die Ergeb­nisse der Bera­tung der Druck­sa­chen in den Aus­schüssen des Land­tages mün­deten in beiden Fällen in einem Ände­rungs­an­trag der Koali­ti­ons­frak­tionen, also einer noch­ma­ligen Ände­rung des Ent­wurfs. 

Plenardebatten – Die hohe Kunst des Streitens

Durch das große Glück, dass mein Prak­tikum in den Zeit­raum der Ple­nar­woche fiel, durfte ich von der Besu­cher­tri­büne aus auch die Debatten zu den Gesetzen im Landtag sowie die Schluss­ab­stim­mung mit­ver­folgen. In beiden Fällen bemühten sich die Oppo­si­ti­ons­frak­tionen um mal här­tere, mal seich­tere Kritik an den Ent­würfen und wollten mit zahl­rei­chen Ände­rungs­an­trägen einige ihrer Anliegen stärker ein­bringen. Die Kritik der ein­zelnen Redner war dabei klar: Von links mahnte man kon­se­quen­tere und wei­ter­ge­hen­dere Reformen an, sah jedoch die getä­tigten Schritte als rich­tigen Weg an und von rechts außen hagelte es in gewohnt lieb­loser und popu­lis­ti­scher Aus­füh­rung wahl­lose Anschul­di­gungen und steile Thesen. Beson­ders wegen der geschlechts­neu­tralen Sprach­aus­füh­rung und den neuen Auf­gaben an Hoch­schule, die Dis­kri­mi­nie­rung ver­hin­dern sollen, befürch­tete man hier eine “Poli­ti­sie­rung” der Ein­rich­tungen und eine Indok­tri­na­tion mit der auch nur in AfD-Rhe­torik bestehenden “Rot-Grünen Ideo­logie” und dem ach so schlimmen “Gen­der­wahn”, den man wenig später mit dem Antrag zum Thema “Gen­der­wahn im Stun­den­plan” auch noch den all­ge­mein­bil­denden Schulen abzu­dichten ver­suchte. 

Nichts desto trotz wurde die not­wen­dige Mehr­heit für beide Ent­würfe pro­blemlos erreicht, sodass sie nun bald ver­kündet werden können und somit für den Frei­staat Gül­tig­keit erlangen.